Eine gerade vorgestellte internationale Studie besagt, dass Deutschland in Sachen Stellung der Frau im Berufsleben einen guten, aber keinen Spitzen-Platz einnimmt. Auch der Sport scheint in diesem Bereich Nachholbedarf zu haben. Ein Beispiel dafür ist eine der besten Handballerinnen, die das EZ-Land hervorgebracht hat: Marion Radonic.
„Ich bekomme viele Anfragen“, sagt Radonic und zeigt ein bittersüßes Lächeln. „Aber alle als Co-Trainerin.“ Diesen Posten nimmt die frühere Kreisläuferin und Abwehrspezialistin beim Württembergligisten SKV Unterensingen ein, zunächst tat sie das an der Seite von Benjamin Brack, dann an der von Steffen Rost. Früher saß sie bei der HSG Ostfildern neben Frank Illi auf der Bank. Bis zum vergangenen Sommer war sie zusätzlich zu Unterensingen auch noch beim Schweizer Frauen-Erstligisten GC Zürich tätig.
Gefühlt jeder zweite Verein der Region sucht zurzeit einen Coach oder war in den vergangenen Wochen auf Trainersuche. Auf Marion Radonic kam niemand. Zumindest hat man diesbezüglich nichts gehört. Und als die 42-Jährige kürzlich beim EZ-Pokal aufgrund von Rosts Fehlen den SKV in der Vorrunde alleine coachte und ins Viertelfinale führte, da fiel nach Radonics Empfinden vor allem auf – dass Rost fehlte. „Wo ist Steffen, haben die Leute gefragt. Oder sie haben gesagt, dass es die Mannschaft ja auch alleine schafft“, erzählt sie. Wenn sie mit den Unterensingern in den Hallen des Landes unterwegs ist, wird sie oft für die Physiotherapeutin gehalten.
Anders herum ist die Sache mehr als üblich. Von den sieben Frauenteams im EZ-Land von der Landesliga aufwärts beispielsweise werden fünf von Männern trainiert. An der Kompetenz und Erfahrung kann das Ganze nicht liegen. „Von den Jungs in der Unterensinger Mannschaft hat keiner auch nur annähernd so hoch gespielt wie ich“, sagt Radonic.
In Trier hat die frühere Jugendnationalspielerin Radonic Bundesliga gespielt, in Allensbach und Nellingen 2. Bundesliga. Nachdem sie beim TVN im Jahr 2011 nach drei Jahren als Leistungsträgerin aufgehört hatte, legte sie ein Jahr Pause ein, übernahm den Co-Trainerposten in Ostfildern und unterstützte dann noch drei Jahre als Spielerin das letztlich gescheiterte Handball-Projekt beim HC Wernau. Schon als Spielerin hatte sie das, was man auch als Trainer braucht: führungs- und durchsetzungsstark, klar analysierend. Und wenn das Spiel gespielt ist, zugänglich, freundlich und verbindlich.
Folgerichtig schlug Radonic, die in Deizisau wohnt, schon während ihrer aktiven Zeit die Trainerlaufbahn ein. Aber nicht nur. Offensichtlich macht sie gerne Dinge parallel. Wobei praktisch ihr gesamtes Leben mit Sport zu tun hat: Die Diplom-Sportlehrerin gibt Unterricht am Sozialwissenschaftlichen Gymnasium in Stuttgart, Böblingen und Karlsruhe, arbeitet als selbstständige Personal-Trainerin – und eben als Handball-Trainerin. Demnächst wird sie die A-Lizenz sowohl im Handball als auch in der Leichtathletik machen.
Im Sommer vergangenen wurde dann alles ein bisschen zu viel, weshalb sie zumindest den Job in der Schweiz – vor Zürich war sie schon bei RTV/KV Basel – aufgegeben hat. „Mir ist das zwar alles lieber als alleine zuhause zu sitzen, aber ich bin 64 000 Kilometer im Jahr gefahren“, erklärt sie. Ganz so rastlos musste es dann doch nicht mehr sein.
Marion Radonic als Cheftrainerin im Männerbereich? „Ich glaube, das traut sich keiner“, sagt sie. Die Arbeit mit einem Frauenteam kann sie sich grundsätzlich auch vorstellen. „Aber nicht unterhalb der 3. Liga, dazu bin ich zu leistungsorientiert“, sagt sie.
Spannend wird es, wenn die Entscheidung fällt, ob Steffen Rost in Unterensingen weitermacht. In den kommenden Tagen oder Wochen will sich der frühere Deizisauer entscheiden. Falls er aufhört, müsste erste Ansprechpartnerin eigentlich Marion Radonic sein. „Die Jungs hören auf mich“, sagt sie über die Spieler. Kein Zweifel.