Handball, Merkel und Petry

Viele haben sich mit den deutschen Handball-Europameistern gefreut. Einer hat zu dem Thema andere Gedanken. Foto: dpa
Viele haben sich mit den deutschen Handball-Europameistern gefreut. Einer hat zu dem Thema andere Gedanken. Foto: dpa

Handball ist Petry. Hä? So wie mir ging es vielen Freunden des Handballsports und sonstigen Lesern, als sie den Artikel „Die Alternative für Deutschland“ von Wolfram Eilenberger auf Zeit Online gelesen haben. Ich habe davon zuerst durch empörte Kommentare auf Facebook etwa von Manuel Späth, anderen Handballern oder Kollegen aus der gesamten Republik mitbekommen. Hier dazu eine Meinung meines Kollegen Ralf Mittmann vom Südkurier, einem unserer Kooperationspartner der G14+. Die möchte ich euch nicht vorenthalten. Ist lang, aber bis zur letzten Zeile interessant zu lesen. Danke an Ralf, der hier gerne Gast-Autor spielt.

Von Handball, fehlendem Respekt und geistigem Müll

Philosoph Wolfram Eilenberger hat die deutschen Handball-Europameister in die nationalistische Ecke gerückt. Schlimmer geht’s nicht.

VON RALF MITTMANN

17,7 Millionen Fernsehzuschauer sahen am 31. Januar den grandiosen 24:17-Erfolg der deutschen Handballer im Finale der Europameisterschaft gegen den Favoriten Spanien. Es darf wohl angenommen werden, dass sich diese 17,7 Millionen mit den Europameistern gefreut haben und vermutlich noch einige Millionen mehr, die aus was für Gründen auch immer nicht zusehen konnten. Es war eine Sternstunde des Sports, unverhofft, impulsiv, emotional, die zweifelsfrei Applaus verdient hatte. Und Anerkennung. Und Respekt.

Einer sieht das anders. Wolfram Eilenberger (43), Philosoph aus Freiburg, Buchautor, Zeitungskolumnist und auch Träger des in sechs Jahren vor seiner abrupten Einstellung 2915 dreimal vergebenen Mindelheimer Philosophiepreises, hat sich im Format seiner Zeit-Online-Kolumne „Kabinenpredigt“ den deutschen Handballern mal so richtig angenommen und hinter die nackten Resultate geschaut. Es wurde ein Pamphlet mit dem Titel „Die Alternative für Deutschland“ und den Unterzeilen: „Blutnah und widerständig: Wir haben den Handball wiederentdeckt. Weil diese Mannschaft eine kartoffeldeutsche Sehnsucht bedient, die gerade wieder schwer im Kommen ist.“

Der erste Eindruck: Das muss eine Satire sein! Mit Blick auf das Überraschungsteam von Bundestrainer Dagur Sigurdsson formuliert Eilenberger Zeilen wie diese: „Authentizität im Auftritt mischt sich mit schmerzaffiner Unmittelbarkeit: Kein Winseln, kein Wälzen, kein Reklamieren. Keine eingestickten Hundenamen auf Finalschuhen!“ Satire, natürlich.

Doch der zweite Eindruck lehrt: Unfassbar, keine Satire! „Ehrlicher Sport von ehrlichen Männern für ehrliche Bürger, herzhaft, blutnah, widerständig“, urteilt der Herr Philosoph. Er nennt Handball „urwüchsig, herkunftsstark, heimatverbunden“ und nähert sich dem Kern seiner Aussage. Rein deutsch sei dieser Sport und damit „sozialdynamisch irgendwo vor drei Jahrzehnten stecken geblieben“. Ganz im Gegensatz zum Fußball, den Eilenberger liebt und den er in der Autoren-Nationalmannschaft ausübt, die vom Deutschen Fußball-Bund gesponsert wird. Also lobt er „Jogi Löws bunt gemischte Multi-Kulti-Truppe“ als leuchtendes Beispiel „für eine gesamtgesellschaftliche Utopie“, als „Spiegel und Projektionsfläche allgemeiner Sehnsüchte“. Das klingt ja nicht schlecht, doch dann fragt der Mann: „Welches Wunschdeutschland verkörpert dann die Handballmannschaft?“ Und er weiß selbstverständlich die Antwort: „Bereits ein erster Blick auf das Mannschaftsfoto erhellt: Das frische Erfolgsteam hat keinen einzigen Spieler mit dunkler Hautfarbe oder auch nur südländischem Teint. Es handelt sich, mehr noch, um eine Mannschaft ohne jeglichen Migrationshintergrund. 100 Prozent kartoffeldeutsche Leistungsbereitschaft. Wir listen die Vornamen der Spieler vollständig: Hendrik, Finn, Erik, Christian, Steffen, Jannik, Niclas, Steffen, Fabian, Simon, Tobias, Johannes, Carsten, Andreas, Rune, Martin. Alle Achtung! Das muss man 2016 in diesem Land erst einmal hinbekommen.“

Das ist schon starker Tobak, aber immer noch nicht alles. Denn damit, so Eilenbergers Sicht der Dinge, „wäre auch die gesellschaftlich-politische Alternative benannt, für die Handball in der nun neu entfachten Imagination des Sportfans steht: Er verweist mit aller Macht auf eine selig verklärte, deutsche Reihenhausvergangenheit der achtziger Jahre. Wenn Fußball Merkel ist, ist Handball Petry.“ Ja, Frauke Petry von der AfD, die mit den Visionen vom Schießbefehl.

Genug jetzt der Polemik? Genug jetzt des geistigen Dünnschisses? Nein! „Ich könnte jetzt noch sagen, dass der einzige Ausländer des Teams, der Trainer, aus Island stammt und das ebenfalls perfekt ins nordisch-arisierte Bild passt“, fährt der 43-jährige Gelehrte fort und schließt mit den Worten: „Handball als Alternative für Deutschland? Danke, nein.“ Exakt. Danke, nein, Herr Eilenberger.

Wolfram Eilenberger hat Resonanz bekommen. Der Deutsche Handball-Bund hat sich beschwert und prüft rechtliche Schritte. Zeit Online erntete einen Shitstorm, in über 600 Leser-Kommentaren wurde der Autor teils heftig attackiert. Der Chefredakteur von Handball World“, Christian Ciemalla, hat Eilenberger mangelnde Recherche und das Bedienen von Vorurteilen vorgeworfen. Er hat den gesamten Aufbau des Artikels „Scheiß“ genannt und den großen Philosophen dann auch noch vorgeführt, indem er, super Idee, sich das Impressum von Zeit Online angesehen und dort folgende Vornamen der Redaktionsmannschaft gefunden hat: „Jochen, Maria, Markus, Martin, Christoph, Meike, Kirsten, Christian, Katharina, Monika, Alexander, Karsten, Kai, Philip, Astrid, Sascha… – alle Achtung! Das muss man 2016 in diesem Land erst einmal hinbekommen“, schrieb Ciemalla und ergänzte: „Oder anders: Wenn Fußball Merkel ist, ist Die Zeit Petry.“

Eilenberger versucht inzwischen, seinem Pamphlet einen besonderen Anstrich zu verpassen. Es habe sich um einen „kalkulierten Tabubruch“ gehandelt. Das ist durchsichtig, weil er in ersten Reaktionen doch zu sehr von sich und seiner Meinung überzeugt war.

Es bleibt dabei: Den Erfolg der deutschen Handballer in die nationalistische Ecke zu stellen, weil es der Sportart generell und dem Nationalteam im besonderen an Migranten fehlt, ist eine schlimme Entgleisung, die am Ende nicht mal nur den Handball trifft. Volleyball, Hockey, Tennis, Rudern, Radsport, Skifahren und Skispringen, Biathlon und Eisschnell- wie Eiskunstlauf – am Ende alles kartoffeldeutsch im Sinne Eilenbergers, der sich geistig verdribbelt hat und, schlimm, nicht den geringsten Respekt kennt. Dabei gibt es eine zutiefst einfache Erklärung, warum es im Fußball mehr Migranten gibt als in anderen Sportarten: Gekickt wird überall in der Welt, es gibt mehr Möglichkeiten, mehr Vereine, Fußball dominiert den Sport, ja, auch in den Medien. Und es gibt auch eine einfache Erklärung, warum es um die Handballsieger von Krakau eine Euphorie gibt und ihnen die Sympathien zufliegen: Weil sie großen Sport boten, weil sie trotz des Leistungsdrucks auch noch Spaß vermittelten, weil sie sich erfrischend natürlich präsentierten – und weil es eben verdammt egal ist, auf welche Vornamen sie hören.

Zitate

„Kein Winseln, kein Reklamieren. Herzhaft, blutnah, widerständig. Urwüchsig, herkunftsstark, heimatverbunden. Eine Mannschaft ohne jeglichen Migrationshintergrund. 100 Prozent kartoffeldeutsche
Leistungsbereitschaft.“

Wolfram Eilenberger über die deutschen Handball-Europameister

„Wir listen die Vornamen der Spieler vollständig: Hendrik, Finn, Erik, Christian, Steffen, Jannik, Niclas, Steffen, Fabian, Simon, Tobias,
Johannes, Carsten, Andreas, Rune, Martin. Alle Achtung! Das muss man 2016 in diesem Land erst einmal hinbekommen.“
Wolfram Eilenberger

„Die gesellschaftlich-politische
Alternative, für die Handball in der Imagination der Sportfans steht: Er verweist mit aller Macht auf eine selig verklärte, deutsche Reihenhausvergangenheit der achtziger Jahre. Wenn Fußball Merkel ist, ist Handball Petry.“
Wolfram Eilenberger

Zur Person

Wolfram Eilenberger (geb. 7. August 1972 in Freiburg) studierte Philosophie, Psychologie und Romanistik in Heidelberg, Turku und Zürich. 2008 wurde er in Zürich mit einer Arbeit zur Kulturphilosophie Michail Bachtins zum Doktor der Philosophie promoviert. Eilenberger ist Buchautor, Chefredakteur des „Philosophie Magazin“ und Zeitungskolumnist. Er lebt mit seiner Familie in Berlin und Toronto.